Flucht und Migration hat es immer gegeben und wird es immer geben. Jeder Mensch hat Anspruch auf Sicherheit und Bewegungsfreiheit. Ein Anspruch, der in der Realität aber nur bestimmten Menschen gewährt und einem Großteil gewaltvoll verwehrt wird. Statt der schlicht menschlichen und im Falle von Europa historischen Verantwortung nachzukommen, wird Europas rassistische Tradition fortgeführt. Deutschland entzieht sich durch dessen geographische Lage und das Dublinverfahren häufig erfolgreich dem Fokus der mörderischen Abschottungspolitik Europas und Gewalt gegenüber Migrant*innen.
Ein Beispiel – von vielen – dafür, wie die Gewalt einzelner EU Länder zusammen wirkt, ist die Abschiebepolitik in Bezug auf Griechenland. 2021 wurde die dublintreue Praxis, Menschen von Deutschland nach Griechenland abzuschieben, die dort bereits einen Schutzstatus erhalten haben, von mehreren Oberverwaltungsgerichten für rechtswidrig erklärt, da die dortige Lage untragbar ist. Seither sind knapp 50.000 Anträge liegen geblieben, deren Bearbeitung erst im April diesen Jahres wieder aufgenommen wurden. Die Anträge werden grundlegend ohne Bindung an die Statusentscheidung in Griechenland bearbeitet. Das bedeutet eine ungewisse Verlängerung der Unsicherheit für die betroffenen Personen und im Zweifel droht trotz Schutzstatus in Griechenland die Abschiebung in das Herkunftsland. Im Juli wurden nun ungeachtet der Urteile vier Personen aus Jemen, Syrien und Palästina nach Griechenland abgeschoben. Begründet wurde dies damit, dass sich die Situation im Vergleich zum Vorjahr verbessert habe. Betrachtet man die Situation vor Ort, ist diese Einschätzung makaber. Ob mit oder ohne Schutzstatus – Migrant*innen sind in Griechenland massiver staatlicher Gewalt ausgeliefert:
Mit dem Erhalt des Schutzstatus wird sofortige Autonomie erwartet, was prekärste Lebensbedingungen zur Folge hat: Es werden finanzielle Unterstützungsmittel gestrichen, das Recht auf eine Unterkunft in einem Camp verfällt und zugleich gibt es kaum Zugang zum Sozialwesen, dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Es gibt fast keine Unterstützungen, die explizit an die Situation von Migrant*innen angepasst sind und die, die es in der Theorie gibt, werden in der Praxis häufig nicht umgesetzt und bleiben ohne langfristige Finanzierungssicherung. Das bürokratische System ist reine Schikane und in sich so widersprüchlich, dass es selbst die wenigen Zugänge zu grundlegender Versorgung, die es gibt, versperrt. Die Ausstellung der notwenigen Papiere, um arbeiten, eine Wohnung anmieten, Sozialleistungen beziehen zu können und Zugang zum sozialen Leben zu erhalten dauert in der Regel über ein Jahr ohne Zwischenlösung.
Um nicht auf der Straße leben zu müssen und Versorgungsmöglichkeiten zu haben, bleibt den Menschen so in der Regel nur noch die Option in Squads oder inoffiziell in Camps zu leben. Squads werden kriminalisiert und sind ständig von der Räumung bedroht. Alle Camps – außer das Camp Eleonas in Athen – sind abgelegen von jeglichen gesellschaftlichen Strukturen und verwandeln sich zunehmend in Gefängnisse. Eleonas als einzig stadtnahes Camp ist seit Monaten von der Räumung bedroht: Es soll im Sinne der Gentrifizierungspläne der Außenbezirke Athens einem Sportstadion weichen. Bewohner*innen protestierten in den letzten Monaten entschlossen gegen diese Räumungsbedrohung.
Anfang Oktober treten zusätzlich neue Gesetze in Kraft, die die Isolierung der Camps verstärken sollen und werden. Behörden werden in Camps zusammengelegt, es werden Mauern und Zäune gebaut, nicht nur der Zutritt zu, sondern auch der Ausgang aus den Camps wird somit verstärkt kontrolliert. Abgesehen von den gravierenden Konsequenzen, die dies für die Menschen, die in den Camps leben, hat, verstärkt eine solche Militarisierung den Eindruck von Migration als Sicherheitsfrage, die gewaltvoll kontrolliert werden muss. Migrant*innen werden ihrer Freiheit beraubt, in ihrer Existenz kriminalisiert und als Gefahr inszeniert, um diese Gewalt an ihnen zu legitimieren. Grenzen werden mithilfe von Camps und Abschiebelagern externalisiert und als Schutz der europäischen Bevölkerung verkauft.
Während sich selbst Camps, die eigentlich ein Versorgungsangebot sein sollen, zunehmend in inoffizielle Gefängnisse verwandeln, verschlimmert sich auch die Situation der offiziellen Abschiebelager. Der Zeitraum legaler Inhaftierung verlängert sich stetig: Mittlerweile können Menschen bis zu 36 Monate festgehalten werden. In den Lagern gibt es kaum medizinisches Personal, Bewegungsfreiheit, Infrastruktur, Hygienevorgaben werden nicht eingehalten. Auch besonders vulnerable Gruppen wie schwangere Personen, unbegleitete Minderjährige und Kinder werden inhaftiert. Zudem werden Menschen nicht nur in Lagern, sondern auch in Polizeistationen festgehalten, wo die Infrastruktur gleich null ist und die Bedingungen noch katastrophaler sind. Auch die Praxis Asylsuchende nach ihrer Ankunft in Griechenland für “administrative Zwecke” zu inhaftieren, ohne dass es strafrechtliche Vorwürfe gegen sie gibt, wird immer verbreiteter.
All diese Entwicklungen zeigen den Zweck und die Gefahren der Institutionalisierung, der Kriminalisierung und Kontrolle von Flucht und Migration. Die rassistische Vertretung von Macht- und Kapitalinteressen wird auf dem Rücken von Migrant*innen ausgetragen. Wo es Unterdrückung und Verschärfungen staatlicher Gewalt gibt, gibt es aber auch Widerstand und Kämpfe, die oftmals unsichtbar gemacht werden. Wenn etwa Menschen, wie Anfang 2020 in Gefängnis-ähnlichen camps wie Moria, trotz Ausgangsbeschränkungen mehrere Tage lautstark gegen regelmäßige Abschiebungen in die Türkei und die staatliche Willkür bei der Bearbeitung von Asylanträgen auf die Straße gehen. Oder wie es das Beispiel vom Eleonas-Camp in Athen zeigt, wo sich Bewohner*innen seit Monaten gegen die bevorstehende Räumung organisieren. Vor allem von Schwarzen Frauen aus der afrikanischen community vorangetrieben, haben die Bewohner*innen Forderungen formuliert, mehrere Demonstrationen und Sitzblockaden vor dem Camp organisiert und sich gegen die Schikanen des campmanagements und polizeiliche Gewalt gewehrt. Die Entscheidung um die Räumung ist noch nicht endgültig gefallen und die Bewohner*innen von Eleonas werden ihren Protest gegen die Verdrängung aus der Stadt in die Isolation entschlossen fortsetzen.
Wir stehen in Solidarität mit diesen Kämpfen gegen staatliche Kontrolle, rassistische Polizeigewalt und für ein Leben in Würde und Freiheit. Denn diesen Kampf gegen das gewaltvolle und mächtige System von Lagern, Abschiebeknästen, Gentrifizierung, Grenzen und Kapitalinteressen können wir nur gemeinsam führen.
Gemeinsamer Kampf, gemeinsames Leben. Bewegungsfreiheit für alle.